Das Auto

wartburg

Wir starten im Wartburg 353 W, Baujahr 1985.

Die Auswahl des Autos fällt den beiden Zweitakterz nicht schwer: Viel Platz soll es bieten, komfortabel sein und natürlich Stil haben: der Wartburg, ganz klar!

Reng-teng-teng. So klingt Motorsound ‚made in GDR’. Immer dem Zweitakt nach. Im Verein mit Freilauf und blauer Fahne, die unüberriechbar aus dem Auspuff weht. Wartburg? Das waren doch diese stinkenden und knatternden DDR-Limousinen, die die Patina von sozialistischer Mangelwirtschaft an sich hatten. Richtig! Zu DDR-Zeiten die hochbegehrten etwas besseren Wagen für die besserverdienenden Genossen – eine Art ‚Premium Ost’. Keine Papp- oder Plastebomber, trotzdem irgendwie hoffnungslos vorgestrig und als Limousine spießbürgerlich bieder. Der besondere Kultstatus des Trabant, der es schaffte, direkt als Ikone und Symbolfahrzeug der Wendejahre ins kollektive nationale Geschichtsbewusstsein zu tuckern, blieb dem Wartburg vorenthalten. Auf den ersten Blick ziemlich uncool…

Drei Zylinder, 992 Kubik. Unser Wartburg ist noch der Mittelkühler-Zweitakter – im Prinzip eine Vorkriegskonstruktion von Auto Union. Am Steuer des Wartburg fährt man auf sofaweichen – wunderbar wohnzimmerbraunen – Sitzen mit ledergenarbten Integralschaumkopfstützen fast automatisch in eine andere Welt. Lenkradschaltung und die fehlende Mittelkonsole sind eine feine Sache. “Caprigrün” ist die frühlingsfrischeste Farbe überhaupt und erinnert an zarte Birken- und Buchenblätter im Mai: Im mausgrauen Verkehrsbild von heute ist das ein sympathischer Farbklecks.

Das W in der Typbezeichnung steht übrigens für ‚Weiterentwicklung’ und bedeutet unter anderem den Serieneinsatz von Scheibenbremse und Drehstromlichtmaschine. Als unser Wartburg im Januar 1985 die ehrwürdigen Werkshallen des VEB Automobilwerk Eisenach – übrigens die automobile Wiege von BMW – verließ, hatte der künftige und stolze Erstbesitzer bereits – heute kaum vorstellbare – 15 Jahre Wartezeit hinter sich. Und das 1966 eingeführte Baumuster 353 war damals auch schon fast zwei Jahrzehnte alt. Um die 20000 Mark mussten bezahlt werden. Das durchschnittliche monatliche Einkommen lag bei ungefähr 800 Mark.

Inmitten der 60er-Jahre war ein progressiver schlichter Entwurf ohne unnötige Dekoration im Bauhausgeist entstanden. Klare Kanten und Flächen oder die graphische Einheit von Frontlampen und Grill waren damals auch im Westen stilistische Avantgarde. Richtig auffällig am 353 sind die breiten Fugen zwischen den einzelnen Karosserieteilen, insbesondere die horizontalen Spalte unter Motorhaube und Kofferraumdeckel, in welche man ganze Hände stecken kann. Angeschraubte Karosserieteile und eine kostengünstigere Fertigungstechnik erforderten die größere Fuge. Die Gestalter um Hans Fleischer machten daraus eine Tugend. Es wird auf den damals modernen Plattenbau der DDR verwiesen und Fugenbild- und –rhythmus werden zum gestalterischen Thema des Entwurfs. Die absolute Antithese zu heutigem Streben nach Präzision und Wahn um schmale Fugen. Subtil modellierte Sichtkanten auf den Hauben machen auf Länge und akzentuieren gleichzeitig die Fahrzeugbreite.

Der 353 ist schlank. Klimaanlage, Servolenkung, elektrische Fensterheber – was moderne Autos fett und übergewichtig macht, fehlt. Zur heutigen automobilen Produktflut mit ständigen und inflationären Modellwechseln ist der Wartburg ein wunderbarer Gegenpol. Im Zeitalter der keil- und pfeilförmigen dynamischen muskelbepackten, breitschultrigen bedeutungsbeladenen Karosserieskulpturen mit dramatischen Licht- und Schattenspielen, aggressiven Lufteinlässen und überzogener Leuchtengestaltung wirkt der klare 353 wohltuend entspannt und gelassen. Ein automobiler Entschleuniger. Und das ist nicht nur auf das zweitaktende Herz zu beziehen. Gar nicht so uncool.

Der Wartburg wird natürlich auf eigener Achse nach Hamburg kommen. Mit reichlich Zweitaktöl im Gepäck freuen wir uns schon jetzt auf eine geile Tour, auf Stockholm, die Lofoten, das Nordkap, Murmansk, St.Petersburg, das Baltikum, Kaliningrad und … Hamburg!

Der „Rallye-Wartburg“ ist seit 2013 im Besitz von Thomas Meinicke. Insgesamt umfasst der Ostfahrzeugfuhrpark der beiden Piloten sieben Wartburg, einen Trabant und eine MZ.